Dunkle Ranken

#1 von Esko , 28.07.2018 19:49

"Oh du süßer kleiner Mensch...", flüsterte er leise in die Nacht. Dunkle Ranken gruben sich in die Tiefe. "Was weißt du schon von Schmerz?"

Die Menschen lebten ihr Leben. Einfach, schlicht und dennoch fühlten sich einige zu Höheren berufen. Manche waren es auch, andere gaben ihr Leben für Gott und Vaterland. Oh wie bitter, sahen sie doch nicht, was für Schmerzen sie verursachten. Und dann waren da jene, die gerne für Gott und Vaterland sterben würden. Jene, die in großen Häusern saßen, vor denen große Autos parkten mit ihren großen Bäuchen aßen sie von großen Tellern und schwingten große Worte über Stolz und Patriotismus.

Einer von ihnen saß ihm gegenüber. Klagte darüber, dass er sich alles erarbeitet habe und keiner ihm was wegnehmen dürfe.
"Was wegnehmen?" fragte die Stimme aus den Ranken.
"Mein Vaterland!" antwortete der andere.
"Das ist höchst bedauerlich..."
"Bedauerlich ist noch untertrieben! Eine Katastrophe ist das!"

Bedauerlich war 'das' keineswegs. Er war so vielversprechend. Sie lernten sich auf einer Party kennen. Er setzte sich mit einem sanften Lächeln zu ihm und grüßte freundlich mit einem Drink in der Hand. Sie unterhielten sich. Warme Worte wechselten sich, ein sanftes Lächeln, ein wissender Blick. Seine Ranken näherten sich ihm, wuchsen langsam und stetig in Richtung Herz, angezogen vom Feuer. Beinahe schlugen sie ihre Wurzeln ihn, bereit um sich zu nähren. Doch je näher sie sich kannten, desto mehr öffnete sich der andere. Und die Ranken erkannten eine andere Art von Feuer. Zorn.

"Was ist mit mir?"
"Was soll mit dir sein?" entgegnete der andere.
"Nun, ich bin auch einer von den 'anderen'. Ich bin nicht so wie du. Ich komme von woanders."
"Du bist nicht fremd."
"Nicht mehr. Für andere bin ich immer noch der Fremde. Meine Hautfarbe verrät es."

Der andere überlegte. Dann antwortete er.

"Du glaubst nicht an den falschen Gott."
"Ich glaube an die falsche Göttin."
"Du bist kein Terrorist."
"Und dennoch vermuten es andere."

Sie drehten sich im Kreis. Der andere argumentierte, die Stimme aus den Ranken antwortete. Er hatte es schon längst aufgegeben zum Gegenschlag auszuholen. Soll der Patriot doch um sich schlagen. Die dunklen Ranken zogen sich zurück, beschützten ihn. Manchmal landete er einen Treffer. Manchmal trafen sie tief in die Seele, doch dort wo sie ihn trafen, wuchsen neue Ranken. Ranken ohne Dornen. Dick und fleischig umgaben sie ihn.

"Nun du bist vielleicht keiner, aber andere sind es!"
"Meinst du ihn?"

Er deutete auf eine andere Person mit dunkler Haut.

"Nein, der nicht."
"Und woran siehst du es?"
"Ich... ich weiß es einfach! Ach das ist ja mal wieder typisch Gutmensch! Du kannst wohl einfach nicht akzeptieren, wenn jemand eine andere Meinung vertritt! Meinungsfreiheit ist dir wohl fremd!"

Der Patriot stand auf und ging. So vielversprechend. Und doch so langweilig... So vorhersehbar... Wenn Menschen merken, dass sie sich selbst wiedersprachen werden sie wütend. Die meisten werden lauter, einige wechseln das Thema, andere gingen. Sie sahen die Ranken nicht, die sich um ihn gebildet haben. Dabei waren sie der Grund dafür. Jeder Schlag, jeder Angriff ließ sie kräftiger wachsen und dennoch sahen sie sie nicht. Sie waren blind für die Gefühle anderer Menschen. Er seufzte. "Heute gehe ich wohl hungrig ins Bett..." Dann stand er auf und ging.

 
Esko
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Dunkle Monde ~ Hexen im Nebel

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